Die dicke Designerin
„Nein, geh weg, Du darfst nicht bei mir sitzen“.
„Bei mir auch nicht, ich habe keinen Platz. Du bist zu fett“.
Claudia standen die Tränen im Gesicht. Gerade noch hatte sie sich von ihrer Mutter verabschiedet, stolz die Schultüte vor sich hergetragen und nun das. Niemand wollte sie neben sich sitzen lassen. Ein Spießrutenlauf begann. Nicht nur an diesem ersten Schultag. Wenn sie geahnt hätte, das die nächsten Jahre ein Horrortrip werden sollten, wäre sie laut schreiend aus der Schule gelaufen.
Aber das wusste sie nicht, als sie sich unter lautem Gekicher in die letzte Reihe setzte, allein an einen Zweiertisch.
Wenn sie in der Schule an die Tafel gerufen wurde, begann das Gelächter schon, als ihr Name aufgerufen wurde. Und der Sport-Unterricht war die Hölle. Sie wurde einsam, sehr einsam. Saß allein zu Hause, allein mit sich und ihren Tränen. Ihre Puppen wurden ihre Freundinnen, mit denen sie Stunden lang spielte. Das Spielen bestand darin, dass sie die Puppen immer und immer wieder mit neuen Kleidern anzog. Diese neuen Kleider waren zunächst Stoffe, die sie im Nähkorb ihrer Mutter fand. Die sie mit der Schere zerschnitt und anpasste bis ihre Mutter ein Einsehen hatte und mit ihr zusammen an der Nähmaschine saß.
In der Schule dachte sie nur noch über neue Kleider nach und konnte es kaum abwarten, bis sie wieder bei ihrer Nähmaschine war. Sie veränderte sich. Ihr Gesicht bekam das, was man später eine persönliche Aura nannte. Ihr Körper entwickelte sich, immer noch sehr füllig, ihre Proportionen entsprachen mehr und mehr der einer Rubens-Figur und die Jungs begannen sich, nach ihr umzudrehen. Die Hänseleien ließen nach, verstummten schließlich. Sie ging ihren Weg. Abitur, Schneiderlehre, Studium Modedesign.
Claudia lebt heute in einer deutschen Großstadt, entwirft Mode für Übergrößen, ist dabei sehr erfolgreich und seit mehreren Jahren mit einem beliebten Schauspieler liiert.
„Ich habe aus meinem Leid meine Berufung gemacht.“
Aus „Storytelling: Wahre Geschichten aus dem Alltag“