Der Alleskönner

Ich lernte ihn in einem Urlaub auf – ich glaube es war auf Fuerteventura – kennen. Damals saß er jeden Morgen beim Frühstück auf dem einzigen in der Sonne liegenden Platz. Und dies jeden Morgen. Also ich konnte kommen wann ich wollte, er war schon da.

Abends in der Disco tanzte er dermaßen perfekt den Moonwalk im Stil von Michael Jackson, das alle das Tanzen aufhörten. Und ihm zuschauten.

Er besuchte mich dann und wir gingen über die Kirmes in Düsseldorf. Bei „Hau den Lukas“ blieb er stehen und knallte den Lukas scheppernd bis zum Anschlag. Ich kam nicht annähernd so weit.

Am Abend sah er mein Saxophon und fragte, ob ich spielen könne. Nun, ich hatte gerade angefangen, Unterricht zu nehmen und spielte ihm stolz die Tonleiter vor. Er grinste, nahm das Instrument und spielte kerzengerade das Solo von „A walk on the wild side“.

Ich blieb dann erst mal ein wenig aus seiner Reichweite. Aber ein paar Wochen später bekam ich eine E-Mail: Ein Auftrag. Ein gigantischer Auftrag. Ich sollte eine große Firma mit gelbem Logo aus Bonn schulen. Die Unternehmensberatung, für die er arbeitete (die mit dem M am Anfang) war dort tätig und veränderte gerade einiges.

Ich gab auf.

Er konnte einfach alles.

 

Aus den Aufzeichnungen „Wär´ ich doch in Düsseldorf geblieben“

Zurück in Düsseldorf

Das einzige, was nach 20 Jahren blieb, ist das kleine Boot, was im Hafen kreist und von wo immer der Rettungsring ins Wasser geworfen wird, um Mann über Bord zu üben.

Alles andere ist anders.

Und so fahre ich auf dem Rhein nicht mehr mit einem Kapitän nach Kaiserswerth sondern mit DJ Tiger.

Und grölenden Mädchen aus Saarbrücken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A wie Arschloch

A  …   wie Arschloch

 

Als ich ihn kennenlernte, hatte ich nicht sofort gemerkt, dass er ein Arschloch ist. Das war bei einem Seminar im Künstlerdorf Worpswede, wir waren 6 Personen und lauschten einem weisen Mann, der uns die Welt erklärte.
Der fragte das Arschloch: „Was ist los mit Ihnen? Trinken Sie? Spielen Sie? Gehen Sie regelmässig in den Puff? Nein? Aber warum sind Sie so fies? Sie erinnern mich an einen Boxer, der immer austeilen muss. Und sie sehen ja auch aus wie Sven Ottke!“
Ja das stimmte. Er sah aus wie Ottke, der Boxer aus Berlin. Und nun wurde mir klar, warum er morgens beim Frühstück, wenn ich den Tee aus der Kanne einschenkte, immer seine Tasse anhob. So, dass ich die relativ schwere Kanne höher heben musste.
Er konnte nicht anders.
Er war fies. Ins Feuer gefallen statt vom Feuer geküsst.
Was kannst Du machen, wenn Du auf ein Arschloch im Büro, im Alltag, triffst?
Nichts kannst Du machen. Lauf weg. Weit weg.

 

Aus “wär ich doch in Düsseldorf geblieben”

Als die Affen den Zoo übernahmen

Es gab einmal einen Fußballverein, der göttlich guten Fußball spielte. Die Leute kamen und freuten sich über das ehrliche Engagement der Spieler, über den schönen Fußball, der gespielt wurde, die Atmosphäre im Stadion, das professionelle Management…. jeder Zuschauer wusste, was er für sein Geld bekam. Und es sprach sich herum, Zeitungen und TV rissen sich um Interviews und Übertragungen, Spieler und Verein waren auf Monate ausgebucht – der Spielbetrieb lief von allein und der Bundesliga – Aufstieg rückte automatisch in greifbare Nähe. Der Trainer hatte sich zwar mittlerweile von der Bank am Spielfeldrand zurückgezogen, flirtete auf der Tribüne mit der Präsidentin oder hielt Small Talk mit wichtigen oder auch nicht so wichtigen Leuten – manchmal erschien er nur noch dann, wenn die ganz großen Spiele stattfanden, er überließ Aufstellung, Taktik und Training seinem besten Mann. Das war einer, der die Fäden im Mittelfeld zog, der auch selber Tore schoss, nicht immer im Sinne der Mannschaft spielend, eben darauf achtend, dass er die Möglichkeit zum Einschuss bekam. Der Trainer machte ihn nicht direkt zum Spielertrainer, nein, das ging ihm dann doch zu weit, aber immerhin hielt er ihm den Rücken frei und setzte den ältesten und erfahrensten Spieler auf die Ersatzbank, damit die Konkurrenz nicht zu groß werden konnte.

Eines Tages erschienen zwei Herren von einem großen, einem sehr sehr reichen Fußballverein und sprachen mit dem nicht-zum-Spielertrainer ernannten Star der Mannschaft und zeigten ihm auf, was er denn in der 2. Liga wolle, wo er doch gleich in die Champions League wechseln könne……..

Aus den Aufzeichnungen für das Buch „Als die Affen den Zoo übernahmen“

Auf dem Schaukelpferd

Es fing so harmlos an.

Meine Frage galt seinem Befinden und dem Glückwunsch, das in einem Jahr seine Insolvenz vorbei ist und er wieder Geld verdienen kann.

Er: „Ich brauche kein Geld“.

Ich: „Wie, Du brauchst kein Geld?“.

Er: „Ja, sagte ich doch. Geld ist unnötig“.

Hmmm, ich überlegte. Kein Geld. Vor 3 Monaten hatten sie ihm den Strom abgedreht, seine Freundin war im Begriff, ihn zu verlassen – genau wie damals seine Ex-Frau, die Mutter seiner Kinder.

„Du kannst doch viel Geld verdienen und bescheiden leben“, ich versuchte es erneut. „Und Du kannst dann nach Frankreich fahren, so wie früher“.

„Das mit Frankreich wäre ok, aber ansonsten brauche ich kein Geld“.

Ich gab auf. Er war beleidigt und ich fassungslos.

Ich ließ ihn sitzen, auf seinem hohen Ross. Schließlich war es doch nur ein Schaukelpferd.

 

 

Aus den Aufzeichnungen „Wär´ ich doch in Düsseldorf geblieben“

Appetit auf Männer

Die Meetings waren vorbei und Doc, Catman und ich
sassen in der Kantine zum Mittagessen. Es war schon
spät und wir waren nahezu die letzten Gäste.

Sie fiel mir auch sofort auf. Zögernd kam sie an unseren
Tisch, setzte sich auf den noch freien Stuhl und sagte:
„Was habe ich für einen Appetit auf einen Mann.“

Catman schaute erst die Frau, dann mich und schliesslich
den Doc an. Sein Mund war eindeutig offen und für einen
langen Moment war es still. Plötzlich sprach Doc: „Dafür
ist er zuständig.“ Sein Finger zeigte unmissverständlich
auf mich.

Die Frau, sie mochte Anfang 30 sein, lange dunkle Haare,
grosse Augen, wandte sich mir zu und fing an zu reden,
und zwar ohne Pause. In einem intensiven österreichisch.
Sie holte Bilder aus der Tasche, steckte sie wieder ein,
gestikulierte. An und für sich verstand ich gar nichts.

Das ging so eine Weile. Doc stand dann auf und sagte:
„Auf Wiedersehen.“ Wir verliessen die Kantine.

Etwas nachdenklich fuhr ich am Abend aus der Stadt,
im Radio die lokalen Nachrichten: Am späten nachmittag
griff eine offenbar geistesgestörte Frau mit einer Axt
den Mitarbeiter eines Baumarktes in der Innenstadt
an. Sie konnte überwältigt werden.

Seht her, ich habe ein Geheimnis

14-jähriger Sohn klettert aufs Dach, nachdem sein Vater ihn und seinen Bruder zur Rede gestellt hat, weil sie verbotenerweise mit seiner wertvollen, antiken Eisenbahn gespielt haben. Er stürzt ab und stirbt. Der Bruder wird psychiatrisch behandelt, seine Mutter begleitet ihn und umhüllt sich mit einem schwarzen Tuch, um nicht erkannt zu werden (sie ist sehr prominent). Die Psychologin gibt ihr den Tip, das Tuch wegzulassen, weil es kontraproduktiv wirkt: Seht her, ich habe ein Geheimnis.

 

Aus den Aufzeichnungen „Wär´ ich doch in Düsseldorf geblieben“

Gründliche Reinigung

Da war noch die Frau – übrigens eine Griechin – die die Griffe der Deckel von Kochtöpfen abschraubte, um diese gründlichst abzureiben. Und… die alle 4 Wochen jeden Lichtschalter abmachte und dann in heissem Wasser kochte. Tatsächlich. Einmal im Monat.

Aus den Aufzeichnungen „Da war noch….“

Die dicke Designerin

Nein, geh weg, Du darfst nicht bei mir sitzen“.

„Bei mir auch nicht, ich habe keinen Platz. Du bist zu fett“.
Claudia standen die Tränen im Gesicht. Gerade noch hatte sie sich von ihrer Mutter verabschiedet, stolz die Schultüte vor sich hergetragen und nun das. Niemand wollte sie neben sich sitzen lassen. Ein Spießrutenlauf begann. Nicht nur an diesem ersten Schultag. Wenn sie geahnt hätte, das die nächsten Jahre ein Horrortrip werden sollten, wäre sie laut schreiend aus der Schule gelaufen.
Aber das wusste sie nicht, als sie sich unter lautem Gekicher in die letzte Reihe setzte, allein an einen Zweiertisch.
Wenn sie in der Schule an die Tafel gerufen wurde, begann das Gelächter schon, als ihr Name aufgerufen wurde. Und der Sport-Unterricht war die Hölle. Sie wurde einsam, sehr einsam. Saß allein zu Hause, allein mit sich und ihren Tränen. Ihre Puppen wurden ihre Freundinnen, mit denen sie Stunden lang spielte. Das Spielen bestand darin, dass sie die Puppen immer und immer wieder mit neuen Kleidern anzog. Diese neuen Kleider waren zunächst Stoffe, die sie im Nähkorb ihrer Mutter fand. Die sie mit der Schere zerschnitt und anpasste bis ihre Mutter ein Einsehen hatte und mit ihr zusammen an der Nähmaschine saß.
In der Schule dachte sie nur noch über neue Kleider nach und konnte es kaum abwarten, bis sie wieder bei ihrer Nähmaschine war. Sie veränderte sich. Ihr Gesicht bekam das, was man später eine persönliche Aura nannte. Ihr Körper entwickelte sich, immer noch sehr füllig, ihre Proportionen entsprachen mehr und mehr der einer Rubens-Figur und die Jungs begannen sich, nach ihr umzudrehen. Die Hänseleien ließen nach, verstummten schließlich. Sie ging ihren Weg. Abitur, Schneiderlehre, Studium Modedesign.
Claudia lebt heute in einer deutschen Großstadt, entwirft Mode für Übergrößen, ist dabei sehr erfolgreich und seit mehreren Jahren mit einem beliebten Schauspieler liiert.
„Ich habe aus meinem Leid meine Berufung gemacht.“

Aus „Storytelling: Wahre Geschichten aus dem Alltag“