In einer anderen Welt

 

Meine Begleiterin, die auch Karate kann und ich stehen vor der Tür.
Eindeutig. Dies ist die Adresse.
Aber wo ist der Eingang?
Hier steht „Staff only“, dort „Office only“.
Und dann sehe ich ihn.
Einen Klingelknopf, daneben ein klitzekleines Bullauge.
Ich drücke auf den Knopf.
Erst mal nichts.
Und dann geht die Tür auf.
Breites Lachen, ein schwarzbärtiger Mann mit Schürze und eine lustige Frau, ganz in schwarz gekleidet, begrüßen uns.
Wir geben unsere Jacken ab und werden in das Haus geführt.
Um die Ecke stehen nebeneinander 7 grinsende Köchinnen und Köche… ein lautes und fröhliches „Welcome“ erschallt.
Dann ein kleiner Raum, eher ein Wohnzimmer mit Sofa und Sesseln, wir schauen auf einen Innenhof, sparsam und ausgewählt bepflanzt, kleine Fontänen dazwischen.
Wir bekommen eine Bouillon serviert, eine Rinderbrühe mit Kombu (essbarer Seetang).
Und erfahren, das sich alles, was wir heute essen werden, an der Insel Bornholm orientiert.
Im Gastraum – wenige Tische in warmen Holztönen mit Blick auf die offene Küche – folgt eine Symphonie in 17 Sätzen. Eine Geschmackssalve nach der anderen. Vom jeweiligen Koch vorgestellt.

Wir wollen hier nicht mehr weg.
Die Atmosphäre ist komplett.
Mehr geht nicht.

 

Adresse: Wildersgade 10B, 1408 København K, Dänemark
Fon: +45 33 25 22 23
Web: http://www.kadeau.dk/kbh_english.php

Herr Hoppe

Flug von Hannover nach Frankfurt. Boarding bei Lufthansa um 10 nach 10, Ankunft in der Abflughalle um halb 10.
Alles ganz entspannt.
Wir stellen uns in die Schlange, um die Koffer aufzugeben. 3 Schalter sind angegeben, eingecheckt haben wir gestern online.
Alles ganz entspannt.
Nun geht es aber sehr langsam voran, wir wundern uns und aha…. Da sitzt nur 1 Mann an den 3 Schaltern.
Und dort drüben ist eine lange Schlange vor dem Sicherheitscheck.
Nicht mehr entspannt.
Um 10 Uhr sind wir dran.
Ich sage zu dem einen Mann:
„Sie hat man hier wohl allein gelassen.“
Gequältes Lächeln.
Ich sage weiter zu dem einen Mann, das es für uns wohl sehr spät wird.
Er greift wortlos zum Telefon.
Probiert ein paar Nummern aus.
Murmelt schließlich in den Hörer „Hier sind noch 2 Gepäckstücke für den Flug nach Frankfurt“.
Legt auf, schaut uns an und sagt: „Den kriegen Sie nicht mehr.“
Und fängt an, auf seinen Computer einzuhacken.
„Ich buche Ihnen neue Flüge.“
Ich drehe mich um… die Schlange hinter uns wird länger.
„Sollen wir nicht zu einem anderen Schalter gehen?“ frage ich…. der eine Mann antwortet, es ist eher ein Zischen: „Es gibt keinen anderen Schalter“.
Ich beobachte ihn.
Er ist völlig konzentriert.
Fokussiert auf diese eine Aufgabe.
Neue Flüge zu finden.
Schaut nicht nach links und nicht nach rechts.
Und vor allen Dingen nicht auf die Schlange.
„Okay – hier habe ich freie Flüge.“
Ich frage nach seinem Namen und meine Begleiterin, die auch Karate kann, sagt: „Sensationell – Sie haben eine Ruhe!“

Als wir mit neuen Bordkarten zum Sicherheitscheck gehen, kommen 2 Kolleginnen und besetzen die anderen Schalter.
Die Schlange wird zügig kleiner.
Egal.
Wir haben einen Helden.
Den einen Mann: Herrn Hoppe.

Der winkende Mann

Jeden Morgen, wirklich jeden Morgen steht er an der Straße.

Und winkt.

Gleich hinter der polnischen Grenze, vor den Zigarettenbuden.

Schiebermütze, fleckiger Mantel, keine Zähne im Mund.

Steht er da. Und winkt und winkt und winkt.

Beim ersten Mal, großes Erschrecken.

Danach ganz schnell vorbeifahren.

Schließlich zurückwinken.

 

Seit letzter Woche ist er nicht mehr da.

Dafür eine rote Leuchtschrift

     Z I G A R E T T E N

 

Die Handtuch-Deutschen

Stehen seit einer halben Stunde in der Schlange vorm Boarding.
Weil… es gibt nur freie Sitzplatzwahl, alle Reservierungen für diesen Ersatzflieger sind ungültig.
Eilig werden die Bordkarten gezückt, aber Halt und Stop, erst Familien mit Kindern und Ansage vom jungen Mann am Boarding-Schalter:
“Das Flugzeug ist groß genug, es gibt mehr Plätze als Passagiere, bitte ruhig und besonnen einsteigen.”
Nach einer weiteren halben Stunde ist es soweit, die Handtuch-Deutschen stehen nun schon eine Stunde an, es wird zum Einstieg aufgerufen.
Die Schlange klatscht.

Doris

„Ich bin immer noch völlig fassungslos, Doris. Was war das für eine Veranstaltung. Ich wurde völlig ignoriert. Als Gerald hereinkam, brach er natürlich in Tränen aus. Du kennst ihn ja, er ist sehr rührselig. Ich bin ein netter Mensch und dann habe ich ihn schließlich auch umarmt.“

Ich sitze im Zug von Duisburg nach Hannover, hinter mir spricht jemand laut und deutlich in sein Handy. Es scheint eine Frau zu sein, sehr aufgeregt, tiefe Stimme, rauchig, eindeutig ein paar Zigaretten zu viel.

„Natürlich Doris, das gehört sich so.
Aber der Pfarrer, nein, der sah mich überhaupt nicht. Er gab Gerald die Hand und mir nicht.“
…..
„Ja! Erst als ich meine Beine übereinander schlug, und damit ein Zeichen setzen wollte, das ich gleich gehen werde, ja da hat er mich kurz angeschaut.
Ich blieb dann doch, ich sagte mir, von der Beerdigung meiner Schwiegermutter wird mich keiner verdrängen.“
…..
„Ja, Doris genau. Später am Grab wollte er mir dann kondolieren. Ich habe ihn ignoriert. Das war die richtige Antwort. Aber das schlimmste ist ja, keiner erwähnte die Mutter der Verstorbenen.“
….
„Ja, mit keinem Wort. Sie blieb völlig aussen vor.“

Jetzt wollte ich mich umdrehen, und nachfragen, was die Mutter der Verstorbenen damit zu tun hatte, denn warum musste sie unbedingt erwähnt werden? Ich hielt mir die Hand vor den Mund.

„Am Montag werde ich den Herren schreiben, einen Vierzeiler, und ihnen sagen, das ich ihr Spiel durchschaut habe. Ich kam mir vor wie bei einer Hexenjagd. Genau so muss es früher gewesen sein!“
….
„Doris, ich bin vor einem halben Jahr ausgezogen, nach 25 Jahren Ehe. Nun haben sie mir gezeigt, was sie von mir halten. Alle!“

Nun MUSSTE ich schauen, wer da so laut sprach, ich stand auf und tat so, als ob ich nach meinem Koffer gucken wollte – aha, eine Dame in schwarz, sehr schlank, Sonnenbrille. Aber es ging weiter:

„Doris, wie geht es Dir denn?“
…..
„Gut, jedenfalls interessiert mich jetzt nur noch die Aufteilung des Vermögens. Alles andere ist mir egal.“

Verstohlen drehte ich mich um. Was dachten die Anderen? Immerhin war das Abteil voll. Und das Gespräch konnte jeder deutlich hören. Aha… hier und da zustimmendes Nicken, auch ein Kopfschütteln sah ich.

Nun, auf jeden Fall waren wir alle gute Zuhörer gewesen, genau wie die Doris.